Wieder da

Vielen Dank, Zenzero für das schöne Header-Foto!

Wenn ich schon untergehe, dann bitte wenigstens bühnenreif. Dabei bin ich gar nicht für die Bühne geeignet. Mich reizt es nicht sonderlich, fremde Rollen zu spielen. Man kann in meinem Gesicht lesen, der Körpersprache alles ablauschen. Es fällt mir schwer, anders zu sein, als ich bin. Manchmal denke ich nur über andere Rollen nach, die ich spielen könnte. Auch mein Herz trage ich auf der Zunge. Auch wenn ich die herzigen Gefühle verstecken möchte, zucken sie mir über die Zunge, fahren mir in den Arm, von dort in die Finger und von den Fingern in den Stift.

Der malt dann regenbunte Herzchen.

Aufschwung, die Zweite

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Das Vaterland allein ist was für erwachsene Realisten, die das Mutterland aus ihren Gedanken und Träumen verbannt haben und sich nicht mehr daran erinnern, wie der erste Biss vom frühen Apfel am Ende des Sommers mundet.
Das Vaterland ist nichts für Fantasten, nichts für bizarre Netzstricker, auch nichts für verträumte Wolkenliebhaber. Im Vaterland sind die Wege gerade. Alle Straßen sind überschaubar und führen strahlenförmig zum Vaterpalast.
Nicht, dass du denkst, in die Residenz komme man so einfach hinein, das ist nicht wie bei Muttern, wo die Türen nicht verschlossen sind, auf dem Holztisch frisches Brot steht und auf dem Herd eine nährende Suppe köchelt.
Um in den Vaterpalast zu gelangen, muss man zuerst eine Treppe hinauf steigen. Nach hundert Stufen darf man den ersten Passagierschein lösen. Den bekommt man aber nur, wenn man einen gültigen Pass besitzt und die richtigen Klamotten trägt. Erst wenn man zehn Passagierscheine besitzt, und zehn mal hundert Stufen empor gestiegen ist, dann wird man durch die gläserne Tür hinein gebeten. Jetzt beginnt die Reise durch das Labyrinth.
Nicht alle schaffen es bis zum Vaterkönig. Manch einer ist dabei schon auf der Strecke geblieben.
Besonders die fantasievollen Träumer, die Planquadrate lieber meiden, weil ihnen dort viel zu schnell langweilig wird, sollten den Vaterpalast meiden, denn sie würden sich in den Farben, Ornamenten, den Bildern und an die Wände gemalten Zeichen verlieren – ich vermute ja, das ist bewusst so gemacht, um die Leute in die Irre zu leiten – und das wäre doch schade, denn wir brauchen sie so sehr in dieser Zeit, die sich von den Müttern so weit entfernt hat.
Aber ohne Vaterstadt geht’s natürlich auch nicht. Das wäre ja so, als würde man den ganzen Tag nur auf einem Bein stehen müssen.
Also, ich habe eine Idee: wenn du zu dieser besonderen Spezies Mensch gehörst, die lieber fantastische Dinge träumt, anstatt sich über geometrische Formeln zu beugen, dann nimm dir einen mütterlichen Fährtenleser mit, am besten einen blinden. Er wird verstehen, dass er nur diesem besonderen Geruch folgen muss, und weil er nichts sieht, wird ihn auch nichts ablenken. Du musst ihm nur noch folgen.
Und wenn du dann am Ziel bist, und vor dem Thron des Vaterkönigs stehst, dann wirst du vor Staunen erst einmal keine Worte finden, denn der Vater sieht nicht mächtig aus. Du hast ihn dir nach allen Reisestrapazen ganz anders vorgestellt. Er ist klein und zierlich. Das Alter forderte seinen Tribut. Er wird dich erkennen und zu sich winken. Er wird lächeln und dich bitten, neben ihm Platz zu nehmen. Sanft wird er die Hand auf deine Schulter legen und dich leise bitten, ihm vom Mutterland zu erzählen, aus dem du aufgebrochen bist, um in der Vaterstadt Fuß zu fassen.

Was du auch denkst

Nein, ein gefallenes Mädchen bin ich nicht
zwar stolperte ich bisweilen über die eigenen Füße
weil Gedanken unbedingt und sofort
auf dem Hochseil spazieren gehen mussten
auch über Fallstricke ab und zu
und absichtlich in den Weg gelegte Hindernisse
aber den Halt verlor ich noch nie
ich trage den Kopf oben, meine Haltung ist aufrecht
versuch nur weiter mir einzureden
ein gefallenes Mädchen zu sein
ich weiß es besser und durchschaue dich
auch und obwohl, ich immer noch gerne
am Abend auf Wolke No 7 sitze und rosarot sehe

Aufschwung

Anlauf nehmen, mich aufschwingen und über den Heckenrand springen.

Füllsel, für wen? Stopft mich jemand in seinen Schlund – die Stadt, das Monstrum, der Moloch – um mich unverdaut wieder auzzuspeien? Hinaus auf die Wiese, mitten ins Frau Holle-Land, ganz nah dem Backofen, dessen Brot schon fertig gebacken ist, nicht weit vom Apfelbaum mit den goldenen Früchten. So kommt jeder zu seiner Aufgabe, und ich an mein Ziel, in die Märchen, den Kindern und Erwachsenen erzählt, bezaubernd, die Hecke riesig wachsen lassend, um alle einzuspinnen wie in einen schützenden Kokon. Das stelle sich jemand bitte mal bildlich vor! Fehlt nur noch Hermanns Boot, das mich sanft durch den Lebensstrom schiffert und am Ende der Zeit auf der anderen Seite absetzt.

Und dann? Überraschung!

Erwachsene werden wieder zu Kindern. Mit ihren weit aufgerissenen Augen und den sehnsuchtsvollen Blicken, die feucht im großen Ozean der Gefühle schwimmen, kommen sie im Mutterland an und lassen sich nieder. Dort wo die Erde ruft, ein warmer Frauenleib wartet und in ihren Schürzen und Taschen Platz ist für all die Verrücktheiten, das Wundern und Staunen, die Neugier, das Unschuldigsein und die Fantasie, die sich noch nicht selbst zensiert.

Ausblick aus dem Fenster

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Zerteilter Himmel hinter Fensterglas
geometrische Formen, Quadrate
Stahlträger schräg und aufstrebend
klare Linien, silbernes Grau
Wolken eilen, fliehen und zerfließen
verschluckt vom Blau
Bewegung, in immer neuen Formationen
unbeirrt vom starren Gerüst
So wie dein Körper hält, dich durch das Leben trägt
das Korsett aus Knochen, Muskeln und Sehnen
hält nicht den Geist gefangen, der dich besselt
der kommt und geht, so wie er will
und keine Grenzen kennt

Schreibreisen oder reisendes Schreiben, miteinander schreiben oder einander mitschreiben!

WAS SUCHT RAUM?

Abschotten, sich verkriechen, in einem Mauseloch verschwinden, sich in Luft auflösen?
Sich wehren mit Händen und Füßen.
Einen Schlussstrich ziehen.
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Ich will nicht mehr.
Aber was will ich dann?
Ich trete zurück und in den Hintergrund. Mein Gesicht verbirgt sich hinter verwischten Farben.
Deutliche Spuren darin von Händen und Füßen, an einem Tag, dessen Datum die Quersumme 9 ergibt und das Tarot die „Sechs der Münzen“ zeigt.
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Marie hat sich selbst erschaffen. Als schöpfende Malerin zeichnete sie sich auf weißes, feingefasertes Papier. Strich für Strich; Konturen, ein Profil. Hineingelegt die Tiefe einer Persönlichkeit mit vielen Facetten. Bunt wie ein Regenbogen.
„Alles Schnee von gestern. Ich will mich neu erschaffen.“
Das Lächeln wird zum Grinsen; verzieht das Gesicht zur Fratze, die zur Maske erstarrt.
Eilfertige Finge greifen nach dem dicken Borstenpinsel, tauchen ihn in dicke Farbe und übermalen mit kraftvollen Bewegungen das erschaffene Gemälde.
Marie sieht gelb!
Aus dem Gelb schält sich Grün, wird zum Baum, der in einem Wald steht, der sich zu den Dünen hin duckt, um den Ausblick frei zu geben auf das Meer.
Unter dem dunklen schweren Himmel, der seinen Schatten aus Stahlgrau und Anthrazit über das Wasser wirft, ist die Linie zwischen Horizont und Himmel aufgelöst.
Ein Blick genügt und Marie zieht sich zurück in den Wald, der sich streckt und zum Baum, der grün ist und mit dem alles begann.
Unter seinen ausladenden Zweigen sitzt ein altes Weib. Das schlohweiße Haar ist verfilzt und steht in alle Richtungen ab. In seiner Strähnigkeit erinnern es an Schlangen, die sich um ein verrunzeltes, lehmbraunes Gesicht mit entgleisten Zügen ringeln. Der Mund ist weit geöffnet. Im erstarrten Gesicht ahnt man noch den stummen Entsetzensschrei, der sich aus rauer Kehle befreien wollte, vielleicht sogar hat, bevor er endgültig und für alle Zeiten vom Meer in die Tiefe hinab gezogen wurde.
Marie ist seltsam berührt. Sie schwankt zwischen Schreck und Mitleid. Gern hätte sie sich unter dem Baum im Moos nieder gelassen, an den Stamm gelehnt und die Borke mit den Fingern liebkost.
Aber neben der Frau mit den verlöschten Augen möchte sie nicht sitzen.
Eine Weile bleibt sie stehen, Auge in Auge mit der Statue.
Vorsichtig nähert sie sich, forscht, wie weit sie heran gehen kann, ohne von der weiblichen Gestalt aufgesogen und verschlungen zu werden.
„Das bist du.“ säuselt der Wind in den Blättern, während auf der anderen Seite der Dünen über dem Wasser das Unwetter tobt und die Wellen hoch peitscht.

Nach einer langen Weile dreht Marie sich um. Für heute hat sie genug gesehen.
Sie kehrt zurück zum Gelb des Gemäldes, nimmt feine Pinsel und klare Farben und beginnt, sich neu zu malen.

Es war Augenweide und Ohrenwiese!

Ich konnte mich nicht satt sehen an all den Farben, an dem Spiel von Sonne und Wolken über unseren Köpfen; an bunten Marktstände: Erdtöne neben schillerndem Bunt; nicht genug bekommen vom Lauschen:
Trommeln, warme Männerstimmen, fröhliche Frauenstimmen, virtuose Klangwelten, die mit ihren Rhythmen die Erde dröhnen und die Körper tanzen ließen. Über allem eine Wolke aus Gerüchen: Weihrauch, gewürzte Speisen; Gebratenes und Gesottenes!
Dazu Stadtausdünstungen, sonnenbeschienener Asphalt; Blätterduft in den Straßenbäumen, in der Ferne auf den Brücken Straßenbahnen und Busse; Autos auf sonntäglich beruhigten Straßen, und gleich nebenan träg dümpelnde Schiffe – vom mondänen Hotelschiff zum Lastkahn bis zum schnellen Sportboot, kleine Segler aus dem Yachthafen. Möwenrufe und Taubengurren!
Mama Afrika und Papa Rhein trafen sich drei Tage lang zum MitAfrika-Festival am Schokoladenmuseum zum Stelldichein. Geschichten wurden gesungen und musikalisch erzählt, Märchen zu Gehör gebracht, dazwischen Gaukler und Jongleure.
Gestern war es voll, so dicht standen die Menschentrauben, dass kaum ein Durchkommen war. Schade, das Festival hätte ein etwas geräumigeres Fleckchen gebrauchen können.

Was mir aufgefallen:
ungewöhnlich viele schöne und sympathische Gesichter, ein buntes Publikumsvolk jenseits aller Altersgrenzen, und fast alle – ob jung oder alt, ob weiß oder schwarz -ließen sich anstecken von der Musik. Da wurde sich im Rhythmus bewegt, gewippt und getanzt. Köln in Afrika, Afrika in Köln, eine gelungene Begegnung.

Wellness und Tai Chi in der Rhön 2

Kleine Begebenheiten am Rande

An einem Vormittag übten wir Tai Chi und Qigong auf einer Wiese hinter der eine Kuhherde weidete.
Wir übten, negative Energie von uns weg zu stoßen. Mit dieser gemeinsamen Bewegung verschreckten wir die Kühe. Erst wurden sie laut und aufgeregt, ja fast aggressiv und dann suchten sie, angeführt vom männlichen Oberrind das Weite. Es war schon irre, wie sich diese großen Tiere quasi vom Acker machten und das Weite zu suchen, als wir gemeinsam diese Abwehrbewegung zelebrierten.

Ein Teilnehmer hatte seine 17-jährige Jack Russell -Hündin mitgebracht, ein agiles Tier, dass uns schnell als Herde erkannte, die man gegen jeden Außenstehenden verteidigen musste. Wenn wir meditierten, legte er sich hin, kreuzte die Vorderpfoten und wurde ganz still. Sie meditierte einfach mit.

Wellness und Tai Chi in der Rhön

Gestern, der letzte Tag:

Es regnete in Strömen, gestern Vormittag. So blieb uns nichts anderes übrig, als heute in der Halle zu üben. Regen trommelt auf das Dach . So beginnen wir mit einer Klangschalenmeditation, die uns die Sonne, das Meer, Wellen, den Strand visualisieren lassen möchte.
Für mich hat das Stakato, der Rhythmus des aufs Dach trommelnden Regens eine eigene Faszination. Ich spüre, dass da jemand traurig und irritiert ist gerade.
Erst später erfahre ich, warum.
Dennoch verbindet sich diese Wahrnehmung heute mit dem Regen, lässt mich an Tränen denken, die aus den Augen tropfen und deren Ursachen von ganz tief innen kommen. Tränen, die säubern, reinigen und heilen.
Oft in diesen Tagen, nicht nur heute, wenn ich den schwingenden, im Raum sich ausbreitenden Klangschalenschlag höre, denke ich an das Tönen mit der eigenen Stimme in der Chantinggruppe und dem darauf folgendem Nachschwingen des angestimmten Tones im Klangkörper, der ich bin und wie er die Barrieren zu sprengen vermag, um den tiefsitzenden Gefühlen Durchlass zu gewähren, um empor zu steigen und endlich gefühlt werden zu dürfen.
Dennoch, auch wenn ich heute weder Meer noch Sonne visualisieren kann – dafür sitzt mir die Traurigkeit eines anderen Menschen zu sehr im Nacken – entspanne ich mich beim Liegen auf den harten Holzdielen. Gut geerdet kann ich auch mit der Traurigkeit umgehen. Die Füße sind nackt, und freuen sich darauf, nachher auf dem Holzboden zu stampfen und später fast zu fliegen. Aber das weiß ich in diesem Moment noch nicht. Ich bin froh, als die Meditation beendet ist, und ich wieder auf den Füßen stehe. Ein Blick nach hinten gibt mir die Bestätigung , dass da jemand tatsächlich traurig ist, den ich sehr sehr gerne habe, aber auch, dass jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen ist, zu fragen, zu benennen, zu sprechen. Wir tauschen Blicke und wissen.
Der „Meister“ gibt heute alles.
In der Schlußsequenz scheint er zu schweben und der ganze Raum schwebt mit: achtsam, leicht wie Federn, die den Boden kaum berühren und doch auch kraftvoll, ohne Anstrengung.
Natürlich komme ich noch nicht mit, denn die meisten üben schon sehr lange Tai Chi. Der Meister schaut nicht auf die Gruppe in dieser letzten Sequenz. Er ist für sich. Seine Bewegungen sind präzise. Er ist bei sich, ganz und gar. Die Konzentration, die von ihm und seinem Tun ausgeht, teilt sich dem Raum und den Menschen hier mit, wird durch das Mitschwingen gesteigert, ja potenziert. Ich empfinde Respekt und große Achtung. Alle sind wir so vertieft, dass wir nicht mitbekommen, was sich über unseren Köpfen draußen abspielt.
Als wir enden, haben wir mit Wolkenhänden den ganzen Himmel freigeschoben. Blau der Himmel, kraftvoll die Sonne, flirrendes Licht. Noch einmal treffen wir uns im Biergarten, um Abschied zu nehmen, von Menschen und Ort, die mit uns Tage reich gefüllt haben. Abgetrocknete Lindenblüten schmücken unser offenes Haar, fallen in Schorle, Bier und Kaffee. Aber es macht uns nichts.

Oft an diesen Tagen in der Rhön denke ich an meine Kindheitsheimat, die ebenfalls eine Mittelgebirgslandschaft ist. Auch auf dem Heimweg später mit meiner Herzensfreundin, denke ich oft daran, wie es wohl wäre mit ihr zusammen mal dort hin zu fahren. Wir verfahren uns, sind plötzlich im Sauerland, auf dem Weg dorthin, woher ich komme. Ich habe nicht darüber gesprochen. Meine Freundin ist eine routinierte Autofahrerin, die diese Strecke gut kennt. Was ist geschehen? Fuhr sie mit dem Auto in die Richtung, in die meine Gedanken spazieren gingen?
Sie ist fassungslos.
Ich habe Mühe, sie zu beschwichtigen, so wütend ist sie auf sich selbst. Erst als ich ihr von meinen reisenden Gedanken erzähle, entspannt sie sich. So erreichen wir unser Ziel eine halbe Stunde später, als gedacht. Es ist fast dunkel.